Zustände katastrophal
Misrata: Ärzte ohne Grenzen hilft
In Libyen hält die militärische Pattsituation zwischen den Aufständischen und den Gaddafi-Truppen an. Einer der Brennpunkte ist nach wie vor die Stadt Misrata, die von den Rebellen trotz der andauernden Belagerung gehalten wird. Die einzige Organisation, die dort für Hilfe sorgt, ist die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, wie der Projektleiter Alan Lefebvre über Satellitentelefon berichtet.
27. April 2017, 15:40
Mittagsjournal, 05.05.2011
Stadt unter Dauerbeschuss
Die Stadt liegt unter Dauerbeschuss, so wie es die Rebellen immer wieder berichten, das bestätigt auch Alan Lefebvre von der Organisation Ärzte ohne Grenzen. Die meisten Menschen sind in den Norden von Misrata geflüchtet, dort ist es ein bisschen sicherer, dort sitzt auch Lefebvre: "Die Front ist ganz in der Nähe und wir hören andauernd die Kampfgeräusche. Manchmal gibt es auch wahllosen Beschuss von sonst sicheren Zonen. Zuletzt ist eine Rakete ganz in der Nähe eingeschlagen".
Frontverlauf ändert sich täglich
Wirklich sichere Zonen gibt es also nicht, und der Frontverlauf ändert sich von Tag zu Tag. Für alle, die in Misrata leben, bedeutet das großen Stress, aber die Bevölkerung versucht, Normalität ins tägliche Leben einkehren zu lassen: "Das Leben geht weiter, auch wenn ein Teil der Stadt eingekesselt ist. Es gibt Verkehr auf den Straßen, und seit kurzem sind auch wieder ein paar Geschäfte geöffnet. Die Bevölkerung improvisiert viel, und Dank einer großen Solidarität können die Grundbedürfnisse befriedigt werden".
Ärzte selbst gefährdet
Trauma- und Stressbehandlung stellen daher für die Ärzte ohne Grenzen eine große Herausforderung dar, auch die 20 Helfer, die die Organisation nach Misrata gebracht hat, sind davon nicht ausgenommen. Keiner weiß, was der nächste Moment bringt, erzählt Lefebvre: "Ich weiß nicht, wo heute die Front verläuft, aber wir hören den Kampflärm dauernd".
Die Frage, ob er selbst und seine Mitarbeiter in unmittelbarer Gefahr sind, beantwortet er mit deutlichem Unbehagen: "Ich werde nicht nein sagen - aber wir haben scharfe Sicherheitsvorkehrungen. Mit so einem Einsatz nehmen wir Gefahren auf uns. Wir gehen zwar nicht an die Front, aber irgendwie sind wir in Gefahr".
Menschen halten zusammen
Beobachten kann man, dass die Solidarität sowohl in den Familien als auch in der Nachbarschaft besonders groß ist. Man hilft einander, wo es geht und bleibt zusammen: "Familien versuchen zusammen zu bleiben und nicht zu viel auszugehen. Sie holen sich Essen und Wasser, schauen nach Verwandten - es ist eine merkwürdige Situation".
Noch gibt es in der Stadt Wasser und Nahrung, aber es ist nicht immer einfach, heranzukommen: "An einigen Stellen der Stadt gibt es fließendes Wasser, an anderen nicht, weil die Leitungen zerstört wurden. Aber es wurde ein System mit Tankwagen eingerichtet".
Medizinische Versorgung an der Kippe
Ähnliches gilt für alle Güter des täglichen Bedarfs, es gibt gerade genug davon, mehr nicht. Auch die medizinische Versorgung ist an der Grenze, viele Spitäler liegen auf der falschen Seite der Front oder sind zerstört. Es gibt nur etwa 150 Spitalsbetten für rund 300.000 Menschen, viel zu wenig für Verwundete, Kranke oder Schwangere, die Lefebvre als Beispiel nennt: "Wenn eine Frau einen Kaiserschnitt hat, sollte sie drei Tage in einem Spital unter beobachtung bleiben. Weil wir nicht genug Betten haben, müssen wir sie am gleichen oder am nächsten Tag wegschicken. Dann besteht die Gefahr von Infektionen oder anderen Komplikationen".
Nur Gastarbeiter wollen weg
Dennoch will die Bevölkerung bleiben, berichtet er, weg aus Misrata wollen vor allem die Gastarbeiter, die inzwischen ihre Jobs verloren haben und sich inmitten eines Bürgerkrieges wiederfinden, der nicht ihr eigener ist. Weil Schiffe Hilfsgüter bringen und Menschen in Sicherheit bringen ist der Hafen inzwischen zum Hauptziel der Gaddafi-Truppen geworden.