TV-Duell um Unentschlossene

Schlagabtausch Sarkozy - Hollande

Mit dem großen TV-Duell zwischen Nicolas Sarkozy und François Hollande ist der französische Präsidentschaftswahlkampf in die Zielgerade gegangen. Der amtierende Präsident und sein sozialistischer Herausforderer lieferten sich am späten Mittwochabend einen knapp dreistündigen verbalen Schlagabtausch.

Morgenjournal, 3.5.2012

Aus Paris,

Hitzige Debatte ohne klaren Favoriten

In beiden Lagern – bei Sarkozy wie bei Hollande - wurde die teilweise sehr hitzig geführte Rededebatte als mögliche Vorentscheidung vor der entscheidenden Stichwahl am Sonntag gesehen. In Umfragen lag der Sozialist Hollande bis zuletzt klar vor dem konservativen Amtsinhaber Sarkozy - etliche Wähler gaben aber an, noch unentschlossen zu sein.

Vier Tage vor der Präsidentenwahl konnte Sarkozy jedoch in dem TV-Duell gegen seinen Herausforderer Hollande keinen K.O.-Schlag versetzten. Viele Beobachter hatten im Vorfeld erklärt, Sarkozy müsse angesichts seines deutlichen Rückstands auf Hollande in dem TV-Duell schon mächtig punkten, um bei der Stichwahl am 6. Mai doch noch wiedergewählt zu werden.

Offensiver Ton

Das erste und einzige direkte Duell der Präsidentschaftskandidaten war von Anfang an durch einen offensiven Ton geprägt. Der 57-jährige Sarkozy versuchte mit Angriffen auf das Zahlenwerk im Wahlprogramm seines gleichaltrigen Kontrahenten zu punkten. Hollande dagegen konterte mit Hinweisen auf die Regierungsbilanz des um eine zweite Amtszeit kämpfenden Staatschefs - und die hohen Arbeitslosenzahlen.

Budget und Arbeitslose

Hollande sagte, er wolle ein Präsident sein, der das Land zusammenführe. Sarkozy verwies in seiner Eingangserklärung auf die historische Dimension der Wahl am Sonntag: "Frankreich darf keinen Fehler machen: wir stecken nicht in einer Krise, wir stecken in vielen Krisen". In den folgenden eineinhalb Stunden dominierte das Thema Wirtschaft.

Die Pläne der Wahlkämpfer zum Abbau des französischen Budgetdefizits standen im Zentrum der von Millionen Franzosen verfolgten Debatte. Beide bezogen sich in ihren Reden mehrfach auf Deutschland und dessen wirtschaftliche Bilanz.

Mit Blick auf die Arbeitslosigkeit von rund zehn Prozent in Frankreich zitierte Hollande das Vorbild Deutschland: "Unsere Arbeitslosigkeit ist gestiegen, unsere Wettbewerbsfähigkeit ist gesunken und Deutschland hat es besser gemacht als wir". Sarkozy erinnerte seinen Rivalen daraufhin daran, dass er Maßnahmen nach deutschem Vorbild wie die Schuldenbremse ablehne.

Streit über Fiskalpakt

Hollande warf dem Präsidenten vor, bei den Verhandlungen zum Fiskalpakt Deutschland nachgegeben zu haben, "ohne etwas dafür zu bekommen". Sarkozy entgegnete, er habe indirekt beim Dreiertreffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Italiens Ministerpräsident Mario Monti im Herbst die niedrigen Zinssätze der Europäischen Zentralbank durchgesetzt. "Herr Hollande kennt Europa schlecht, er weiß nicht, dass man in Europa nicht von oben entscheiden kann, dass Kompromisse geschlossen werden müssen", kritisierte Sarkozy.

Sarkozy, der erneut Eurobonds ablehnte, plant nach deutschem Vorbild die Verankerung einer Schuldenbremse in der Verfassung. Hollande will unter anderem den Fiskalpakt neu verhandeln und bis Ende 2012 die französischen Truppen aus Afghanistan abziehen. Sarkozy hält beide Vorschläge für unverantwortlich.

Spitzenverdiener, Ausländer

Hollande will zudem Spitzenverdiener deutlich höher belasten, projektbezogene Eurobonds einführen und die Rolle der Europäischen Zentralbank (EZB) ausweiten, um das Wachstum anzukurbeln. "Selbst von der deutschen Seite gibt es dazu schon eine neue Geisteshaltung", behauptete er.

In der Innenpolitik hielt der Sozialist an seinem Vorschlag fest, Ausländern das kommunale Wahlrecht zu geben. Dafür sei er sogar zu einem Referendum bereit. Von Muslimen geforderte unterschiedliche Öffnungszeiten in Schwimmbädern für Männer und Frauen solle es aber nicht geben. Auch nach muslimischem Ritus geschlachtetes Fleisch in Schulkantinen lehnte Hollande ab.

Atompolitik

Im Bereich der Atompolitik verteidigte Präsident Sarkozy die 58 Kernreaktoren des Landes mit den Worten: "Die Atomenergie ist ein französischer Trumpf - unsere deutschen Freunde zahlen 35 Prozent mehr für ihren Strom als wir." Deutschland habe im Bereich der erneuerbaren Energie eine knappe Viertel Million Arbeitsplätze, Frankreich 50.000", konterte Hollande, der bei seiner Wahl das AKW Fessenheim an der deutsch-französischen Grenze schließen will. Es ist das älteste des Landes.

Morgenjournal, 3.5.2012

Jedes Lager sieht seinen Kandidaten als Sieger mit leichtem Vorteil für Hollande. Aus Paris Eva Twaroch im Gespräch mit Christl Reiss

Eigene Favoriten als Sieger

Beobachter sprachen von einer angespannten Atmosphäre beim TV-Duell. Der Meinungsforscher Frédéric Dabi vom Ifop-Institut sagte zur Halbzeit, Sarkozy spreche Hollande auf "etwas lehrerhafte Art" die Fähigkeit ab, das Land zu regieren. Die Strategie des Präsidenten, der seinen Herausforderer der "Lüge" bezichtigte, sei riskant.

Die Parteien der beiden Kandidaten sahen jeweils ihren Favoriten im Vorteil. Erste Analysen zum möglichen Einfluss des TV-Duells auf die Stimmung im Land wurden für diesen Donnerstag erwartet. Meinungsforscher hatten Hollande am Mittwoch bei 53,5 bis 54 Prozent gesehen, Sarkozy bei nur 46 bis 46,5 Prozent.

In der zweiten Runde der französischen Präsidentenwahl sind am kommenden Wochenende rund 46 Millionen Franzosen aufgerufen, das Staatsoberhaupt für die kommenden fünf Jahre zu wählen. Sollte Hollande gewinnen, käme 17 Jahre nach dem Ende der Amtszeit von François Mitterrand erstmals wieder ein Sozialist an die Macht. (Text: APA, Red.)

Mittagsjournal, 3.5.2012

Das TV-Duell ist von knapp 18 Millionen Fernsehzuschauern verfolgt worden, das waren 2,5 Millionen weniger als bei der letzten Wahl vor fünf Jahren. Eine Reportage am Tag danach aus Paris, Hans Woller