Erdogan lässt Demos zerschlagen

In der Türkei steht Premier Erdogan politisch immer mehr unter Druck. Jetzt zeigt sich auch die EU zunehmend besorgt über die Entwicklung. Seit zehn Tagen erschüttert ein Korruptionsskandal die Türkei. Die Polizei hat am Abend Demonstrationen in Istanbul und Ankara brutal aufgelöst.

Demonstranten in der Türkei

(c) Bozoglu, EPA

Morgenjournal, 28.12.2013

Demos in Istanbul, Ankara und Izmir

Rund um den Korruptionsskandal in der Türkei ist die Polizei am Freitagabend mit großer Härte gegen regierungskritische Demonstranten im Zentrum von Istanbul vorgegangen. Die Sicherheitskräfte setzten schon vor dem geplanten Beginn der Demonstration Wasserwerfer, Tränengas und Plastikgeschoße ein. Die nach Schätzungen von Augenzeugen mindestens 1.000 Demonstranten forderten in Sprechchören den Rücktritt der Regierung. Sie skandierten außerdem wie bereits bei den Protesten im Sommer: "Überall ist Taksim, überall ist Widerstand".

Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan selbst wurde am Freitagabend von Tausenden Unterstützern am Flughafen in Istanbul empfangen. Die Regierungsgegner hatten wegen des Korruptionsskandals in seinem Kabinett zu einer Demonstration auf dem Taksim-Platz aufgerufen, den die Polizei weitgehend abriegelte. Auf der dorthin führenden Einkaufsmeile Istiklal Caddesi ging die Polizei gegen Gruppen von Demonstranten vor und verfolgte sie in Seitengassen.

Vereinzelte Protestierer bewarfen die Wasserwerfer mit Steinen und errichteten Barrikaden. Auch aus Ankara und Izmir wurden Proteste gemeldet. Vom Gezi-Park am Taksim-Platz waren im Sommer die landesweiten Proteste gegen die islamisch-konservative Erdogan-Regierung ausgegangen.

EU mahnt Türkei

Das oberste Verwaltungsgericht kippte am Freitag nach einem Bericht der Zeitung "Hürriyet Daily News" einen Erlass der Regierung, mit dem Ermittler dazu gezwungen werden sollten, Vorgesetzte über ihre Untersuchungen zu informieren. Die Regierung war von den Korruptionsermittlungen überrascht worden.

Der für die EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara zuständige EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle begrüßte die Entscheidung des Gerichts. Die von der Regierung beschlossenen Vorschriften für die Polizeiarbeit hätten "die Unabhängigkeit der Justiz und deren Handlungsfähigkeit untergraben", hieß es in einer Erklärung Füles. Er erinnerte die Türkei an ihre Pflichten als Beitrittskandidat und forderte die Regierung auf, "alle nötigen Schritte zu unternehmen, damit die Vorwürfe von Rechtsverletzungen ohne Benachteiligung oder Bevorzugung transparent und unparteiisch aufgeklärt werden".

Der Korruptionsskandal belastet das zuletzt ohnehin angeschlagene Vertrauen der Finanzmärkte in das aufstrebende Schwellenland. Die türkische Lira rutschte am Freitag im Handel mit dem US-Dollar auf ein Rekordtief. Neben der Währung gerieten auch türkische Staatsanleihen und der Aktienmarkt des Landes massiv unter Verkaufsdruck, nachdem sich ausländische Investoren teilweise aus dem Markt verabschiedet hatten.

Abgeordnete verlassen AKP

Der Korruptionsskandal erschüttert die Türkei seit zehn Tagen und hat zum Rücktritt von drei Ministern geführt. Einer davon hatte auch Erdogan zum Amtsverzicht aufgefordert. Erdogan hatte am Mittwoch zehn seiner 26 Kabinettsposten neu besetzt. Bei den Ermittlungen geht es unter anderem darum, ob gegen Schmiergeld illegale Baugenehmigungen erteilt und Handelssanktionen im Atomstreit gegen den Iran unterlaufen wurden. Erdogan hat die Ermittlungen als "dreckige Operation" gegen seine Regierung mit Hintermännern im In-und Ausland bezeichnet.

Abgeordnete kehren der Regierungspartei AKP unterdessen den Rücken. Drei Parlamentarier erklärten am Freitag ihren Austritt aus der AKP. Zuvor hatte bereits Ex-Innenminister Naim Sahin seinen Austritt erklärt. Kurz vor Bekanntwerden des Korruptionsskandals hatte der einstige Fußball-Star Hakan Sükür die Partei verlassen. Die absolute Mehrheit der AKP im Parlament gefährden die Austritte nicht. (Text: APA, Red.)