Türkei vor der Wahl

In der Türkei finden am Sonntag zum zweiten Mal innerhalb von fünf Monaten Parlamentswahlen statt. Die Türkei ist gespalten zwischen glühenden Anhängern von Präsident Erdogan und erbitterten Gegnern, die Erdogan vorwerfen, die Wahl bewusst vom Zaun gebrochen zu haben, damit seine regierende islamisch-konservative AKP die verlorene absolute Mehrheit zurückgewinnen kann. Gewalt und tiefe politische Gräben überschatten den Urnengang. Die Regierung hat außerdem den Druck auf kritische Medien deutlich erhöht.

Mittagsjournal, 30.10.2015

Aus Istanbul,

Es gibt kein Du oder Ich, es gibt nur die Türkei steht auf den Wahlwahlplakaten von Ministerpräsident Davutoglu. Die regierende AKP ruft zur nationalen Einheit und Versöhnung auf. Hat selbst dazu jedoch wenig beigetragen. Im Gegenteil: die ungebremsten Ambitionen von Präsident Erdogan, der die laut Verfassung eingeschränkte Macht des Amtes nicht akzeptieren will und den politischen Alltag in der Türkei weiterhin dominiert hat das Land an den Rand der Unregierbarkeit geführt. Kaum ein Tag vergeht ohne dass Journalisten oder Oppositionelle wegen angeblicher Präsidentenbeleidigung angeklagt werden.

Der Druck auf die Medien wächst. Nicht nur auf jene, die selbst politische Ziele verfolgen und Erzfeinden des Präsidenten zuzurechnen sind. Sondern auch gegen jene, die einfach nur objektiv und kritisch die politische Rolle von Tayyip Erdogan beleuchten wollen. Dass jüngst ein Mob, angeführt von einem Parteifunktionär der AKP, die Redaktion der angesehenen Tageszeitung Hürriyet stürmen wollte, dass bekannte Journalisten verprügelt werden, all das ist in der Türkei mittlerweile zum traurigen Alltag geworden. Der Präsident poltert und droht: „Ihr Medien, macht ja nicht gemeinsame Sache mit den Feinden, mit Terroristen. Ihr könnt gegen mich sein, ihr habt mich immer gehasst. Aber seid Euch bewusst: ihr werdet mir die nie die Macht wegnehmen können, die mir Gott gegeben hat.“

Die Feinde des Präsidenten scheinen all jene zu sein, die gegen ihn sind. Allen voran die pro-kurdische Linkspartei HDP, die Erdogan ins Eck der kurdischen Terrororganisation PKK rückt, die der Präsident seit dem Sommer wieder bekämpfen lässt. Der Einzug der Partei ins Parlament bei der letzten Wahl im Juni, der der regierenden AKP von Erdogan die absolute Mehrheit gekostet hat, hat sie zum Hassobjekt des Präsidenten gemacht. Wir treffen einen Kandidaten der HDP beim Wahlkampf im Zentrum Istanbuls.

Baran Ugurlu spricht von massiver Behinderung seiner Partei: „Sie kommen in den frühen Morgenstunden, sie nehmen unsere Parteimitarbeiter und Wahlhelfer, sogar unsere Abgeordneten fest. Wir nehmen keine Anweisungen der PKK entgegen, wir sind eine normale Partei der Türkei, die sich um das Kurdenproblem kümmert. Sie drängen uns nur ins Eck der PKK, damit sie uns festnehmen und uns Stimmen wegnehmen können.“

Der Wahlkampf der HDP wirkt gedämpft. Nach zwei blutigen Anschlägen gegen linke und kurdische Aktivisten, Anschläge, die dem sogenannten islamischen Staat zugerechnet werden, sind Angst und Nervosität groß. Fest steht: wenn die HDP auch am Sonntag wieder den Sprung ins Parlament schafft, und die meisten Wahlforscher gehen davon aus, dann wird es für die regierende islamisch-konservative AKP erneut schwierig werden, ihre absolute Mehrheit zurückzuerobern. Dann stehen wieder mühsame Koalitionsverhandlungen an. Gewinnt die AKP knapp, dann werden wohl Rufe von Wahlbetrug laut werden und sich der Frust der Opposition, allen voran der Kurden, auf den Straßen entladen. Wie auch immer die Wahl ausgeht: der Türkei stehen politisch turbulente Zeiten ins Haus.