Kühnes Alterswerk von Friederike Mayröcker

ich bin in der Anstalt

Friederike Mayröcker hat einen neuen Prosaband herausgebracht: "ich bin in der Anstalt. Fusznoten zu einem nichtgeschriebenen Werk" kommt am Mittwoch, 19. Mai 2010 in die Buchhandlungen. Ein kühnes Alterswerk.

Derzeit ist die 85-jährige Grande Dame der österreichischen Literatur ja auch auf der Kinoleinwand zu sehen - in dem gefeierten Film "Das Schreiben und das Schweigen", für den Carmen Tartarotti die Dichterin vier Jahre lang begleitet hat - bis 2008. Damals hat Friederike Mayröcker auch mit der Arbeit an ihrem jüngsten Werk begonnen - in nur zehn Monaten ist ein großes, kühnes Alterswerk entstanden.

Nur Fußnoten

Ein Buch nur aus Fußnoten, das wollte Friederike Mayröcker - wie sie sagt - schon seit Jahrzehnten schreiben. 243 Fußnoten hat sie jetzt in einem Band versammelt, manche nur eine Zeile lang, andere wiederum gehen über mehrere Seiten, entstanden zwischen Dezember 2008 und November 2009. "Fusznoten" - wie der Untertitel verrät - "zu einem nicht geschriebenen Werk".

"Das ist natürlich angreifbar, denn man sagt: 'Naja, wo ist denn jetzt eigentlich das nicht geschriebene Werk?' Und da weiß ich dann auch keine Antwort. Eigentlich ist das nicht geschriebene Werk das, was ich geschrieben hab", so Mayröcker. "Und das ist natürlich angreifbar."

Das Universum der Friederike Mayröcker

Einspruch: absolut unangreifbar ist dieser Text, eine Reise durch das Universum der Friederike Mayröcker. Sie erinnert sich an ihn, an ihren vor zehn Jahren verstorbenen Lebens- und Arbeitsgefährten Ernst Jandl, an die Mutter, an Freunde, sie schreibt über ihre Lektüre - allen voran Jacques Derrida, sie erzählt von Sehnsuchts- und Erinnerungsorten, von Kindheitstagen und Alltagssplittern. Und sie erzählt von der Last des Alters: von Schwindelanfällen und Hüftschmerzen, von Schwächegefühlen, Schlaf- und Gedächtnisstörungen.

"Es geht von einer Körperbewusstheit aus. Da bin ich schon ein bissl auf den Spuren von Maria Lassnig, die ja immer von 'Body Awareness' spricht. Ich vermeide englische Ausdrücke, aber 'Body Awareness' ist ganz gut. Ich bin immer aufgeregter hineingekommen, es hat mich immer mehr gepackt - alle Bewegungen meines Inneren."

Abscheu vor dem eigenen Körper

"Immer mehr ähneln meine Füße und Arme jenen meiner Mutter in ihrem Alter, mein massives derbes Gesicht im Spiegel, ich empfinde Abscheu und Scham", steht da etwa in Fußnote 198 und weiter heißt es da: "Was war geschehen was hatten die Jahre mit meinem Gesicht gemacht, die Altersbäckchen, der unfreie Gang, übriggeblieben ist nur der triste Blick".

"ich bin in der Anstalt" ist ein schonungsloser und radikaler Text. "Es geht nicht anders", so die Autorin. "Ich gebe viel preis. Ich weiß auch, dass ich mir damit auch schaden könnte. Aber das ist mir eigentlich egal."

Leben in Sprache

"Ich lebe nur in Sprache", sagt Mayröcker, Leben und Literatur sind für sie eins: "Es geht hier wieder nur um die Sprache eigentlich. Aber es darf nicht ganz vorher schon sein, sonst kann man es wieder nicht lesen. Ich muss da einen Schwindelweg machen zwischen dem puren Sprachinteresse und ich muss ja dem Leser auch einen Pfad geben, sonst hört er ja auf zu lesen. Da hab ich wahrscheinlich ein bisserl Glück gehabt, dass mir das gelungen ist in diesem Buch."