Fehlalarm, Polizeikritik, Komplizensuche

Nervosität in Norwegen

Nach den Anschlägen in Oslo und auf der Insel Utöya, bei denen mindestens 76 Menschen getötet wurden, ist die norwegische Polizei höchst alarmbereit. Wegen eines verdächtigen Gepäckstücks wurde heute der Osloer Zentralbahnhof gesperrt. Die Polizei muss sich gegen zunehmende Kritik wehren und zugleich nach einem möglichen Komplizen fahnden.

Mittagsjournal, 27.07.2011

Berührende Berichte

Mit jedem Tag gibt es neue Berichte darüber, was auf der Insel Utöya während der fast 90-minütigen Schießerei passierte - durch Augenzeugenberichte und Interviews. Die norwegische Zeitschrift "Verdens gang" hat einen berührenden SMS-Verkehr veröffentlicht, zwischen der 16-jährigen Julie Bremnes, die sich auf Utöya vor dem Schützen verstecken konnte, und ihrer Mutter, die die Ereignisse zuhause via Fernsehen verfolgte. Vom ersten SMS der Tochter um 17.42 Uhr bis zur Nachricht über die Verhaftung des Täters vergehen eineinhalb Stunden.

Polizei in der Kritik

Es sind Berichte wie diese, die die norwegische Polizei zusehends in die Bredouille bringen. Warum konnte sie erst nach fast 90 Minuten den Schützen stoppen? Das ist eine der zentralen Fragen. Dass es nicht genug Boote gab, um auf die Insel überzusetzen bzw. dass der nächstgelegene Hubschrauber nicht eingesetzt werden konnte, weil der Pilot auf Urlaub war - das wirft weitere Fragen auf. Die Aussage des festgenommenen Tatverdächtigen Anders Breivik, er habe sich selbst gewundert, dass die Polizei ihn nicht schon nach der Bombe in Oslo verhaftet hat, tut da ihr übriges. Polizeichef Johan Fredrikson verteidigt das Vorgehen der Polizei: "Ich glaube nicht, dass wir unter diesen Umständen schneller hätten handeln können."

Alarm um Koffer

Wie nervös die Stimmung in der norwegischen Bevölkerung und bei der Polizei derzeit ist, zeigt auch der Vorfall Mittwochvormittag: Wegen eines herrenlosen Koffers wurde kurzerhand der Osloer Zentralbahnhof gesperrt. Hunde wurden eingesetzt, zum Aufspüren von Sprengstoff. Der Koffer hat sich letztlich als harmlos herausgestellt.

Suche nach Komplizen

Verwirrung herrscht auch wegen Medienberichten, wonach die Polizei nach einem Breivik-Verehrer fahnde. Die Polizei dementiert: Man fahnde zwar nach einer geistig verwirrten Person, es gebe keine Verbindung zu Breivik. Auf jeden Fall werde weiter ermittelt, ob der tatverdächtige Anders Breivik nicht doch einen Komplizen gehabt haben könnte. Auf Hilfe von Breivik können sie dabei nicht setzen. Dieser verlangt im Gegenzug zu seinen Angaben nämlich den Zugang zum Internet. Das wird von den Behörden aber klar abgelehnt. Breivik muss laut richterlichem Beschluss die ersten vier Wochen seiner Untersuchungshaft in völliger Isolation verbringen.