Snowden-Enthüllungen: Ein Jahr danach
Ein Jahrestag des Enthüllungsjournalismus: Am 5. Juni 2013 haben zwei Zeitungsartikel in der Washington Post und im britischen Guardian von einem damals noch völlig unbekannten Edward Snowden berichtet, der seine Informationen über Spionagetätigkeiten des US-Geheimdienstes NSA preisgegeben hat.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 5.6.2014
Aus den USA,
5. Juni 2013: es sind zwei Zeitungsartikel in der Washington Post und im britischen Guardian, die den Stein ins Rollen bringen. Die Weltöffentlichkeit erfährt von einer amerikanischen Geheimdienstabteilung namens NSA, und davon, was sie tut, und von dem Mann hinter den Enthüllungen, dem ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden. Seit einem Jahr jagt eine Enthüllung die nächste: „Prism", "Dishfire" oder „Tempora“ heißen die Programme, mithilfe derer die US-Geheimdienste Millionen Bürger überwachen, ihre Telefonate, Emails, SMS und Internetaktivitäten. Nicht einmal Politiker und EU oder UNO-Institutionen scheinen vor der Lauschwut der Amerikaner sicher. Doch was wurde aus dem medialen Aufschrei, aus der Empörung und dem Ruf nach Reformen?
Wenig verändert
Meine größte Angst ist, dass sich nach meinen Enthüllungen nichts verändern wird – das sagt Edward Snowden bei seinem ersten Fernsehinterview im Juni 2013. Heute, genau ein Jahr später, sind seine Befürchtungen wohl wahr geworden. Die USA scheinen glimpflich davongekommen zu sein, sagt Ben Fitzgerald, Cyber-Experte am Center for New American Security in Washington DC – allerdings mit einem zerkratzten Image.
Die schwerwiegendsten politischen Konsequenzen sind die angeknacksten Beziehungen zu alten Verbündeten, vor allem zu Europa, Brasilien oder Mexiko. Das spüren wir auch wirtschaftlich. Viele amerikanische Unternehmen stehen unter Druck, Aufträge wurden zurückgenommen, Brasilien hat sich zB. entschieden, nicht wie geplant, Boeings von den Amerikanern zu kaufen.
Kaum Taten
US-Präsident Barack Obama habe bisher vor allem eines getan, sagt Fitzgerald. Versucht, die Wogen zu glätten. Er gelobt Besserung, beauftragt Expertenkommissionen, verspricht Transparenz und eine „Balance zwischen Sicherheit und Privatsphäre“ – aber er macht auch klar: Wir können nicht 100% Sicherheit haben, und gleichzeitig 100% Privatsphäre und 0% Unannehmlichkeit. Im Jänner präsentiert er schließlich seine Pläne für eine Geheimdienstreform – doch die kommt in homöopathischen Dosen: Ich habe angeordnet, dass die Telefonmetadaten, also wer mit wem und wie lange telefoniert, künftig nicht mehr von Geheimdiensten, sondern von Telefongesellschaften gespeichert werden.
US-Freedom Act heißt der Gesetzesentwurf, der es als bisher einziger durch den US-Kongress geschafft hat – doch auch der hält nicht, was er verspricht, klagt der demokratische Abgeordnete Mike Honda: Der Entwurf war ein guter Schritt in die richtige Richtung, aber das, was dabei herausgekommen ist, ist entsetzlich. Er ermöglicht weiterhin die Überwachung von Telefonmetadaten. Ich bin enttäuscht, dass dieses Gesetz geschwächt wurde.
Auch Obamas Beteuerungen, die Privatsphäre ausländischer Bürger künftig stärker zu schützen, sind bisher keine konkreten Vorschläge gefolgt. Er warte darauf, dass Gras über die Sache wächst, glaubt Cyber-Experte Ben Fitzgerald. Eine Strategie, mit der er nicht schlecht fährt.
Zu viel Informationen
Der amerikanischen Regierung hat in die Hände gespielt, dass Edward Snowden so viel veröffentlicht hat. Wir haben massenweise Informationen bekommen – ja, zum Teil schockierende Beweise für die Verletzung von Bürgerrechten, aber auch Belege für völlig legitime Geheimdienstaktivitäten. Kaum jemand hat mehr einen Überblick darüber, was gut oder schlecht ist. Diese Verwirrung hat geholfen.
Die amerikanische Bevölkerung, deren Empörung sich schon zu Beginn des NSA-Skandals in Grenzen hält, scheint besänftigt. Und auch die internationale Entrüstung über Lauschangriffe auf die EU- Kommission, das UNO-Hauptgebäude oder den größten chinesischen Internetanbieter Huawei sind mittlerweile abgeebbt.
Das von Deutschland laut geforderte „No-Spy-Abkommen“ ist zu einem leisen „Cyber-Dialog“ reduziert worden – einzig das angehörte Handy der deutschen Kanzlerin Angela Merkel macht der Idylle jetzt einen Strich durch die Rechnung. Spionieren unter Freunden das geht nicht, sagte sie im November - gestern hat der deutsche Generalbundesanwalt das erste offizielle Ermittlungsverfahren in Sachen NSA-Skandal eingeleitet.
Es ist höchst unwahrscheinlich, dass die NSA dabei in irgendeiner Weise verurteilt werden könnte, glaubt Cyber-Experte Ben Fitzgerald. Das würde auch allen Beteiligten schaden. Aber zumindest ist es ein starkes politisches Zeichen. Die Reaktion der Amerikaner: man würde das Problem lieber auf diplomatischem Wege lösen, heißt es aus dem US-Außenministerium. Am liebsten in einer weiteren Gesprächsrunde.