Friederike Mayröcker

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Autorin Friederike Mayröcker gestorben

Sie zählte zu den höchstdekorierten heimischen Schriftsteller/innen, ihr umfangreiches wie eigenwilliges Werk wuchs stetig bis ins hohe Alter. Zuletzt erschien im Herbst 2020 bei Suhrkamp der Band mit dem Titel "Reise durch die Nacht". Nun ist Friederike Mayröcker, die als schwarze Gestalt in ihrer zettelübersäten Wohnung bereits zu Lebzeiten zur Legende geworden ist, 96-jährig gestorben.

Als "bekannt, aber nicht gekannt" bezeichnete ein Literaturwissenschafter einmal die u.a. mit dem Großen Goldenen Ehrenzeichen mit Stern (2014), dem Großen Österreichischen Staatspreis (1982) und dem Georg-Büchner-Preis (2001) ausgezeichnete Dichterin, die vielfach bewundert, aber nur von wenigen wirklich gelesen wurde. Zuletzt war Mayröcker für den Preis der Leipziger Buchmesse 2021 nominiert.

Ich lebe nur in Sprache.

So bekannte die Dichterin, der Leben und Literatur eins sind, immer wieder: "Ich kann alles durch meine Augen in mich aufnehmen und aus mir herausschreiben."

Literaturwissenschaftler Bernhard Fetz zum Ableben der großen Dichterin.

APA/HANS KLAUS TECHT

Archivbild aus dem Jahr 2001

Sieben Jahrzehnte lang entstanden so in dichter Folge Prosa- und Lyrikbände. "Das Gedichteschreiben ist so eine Art Aquarellieren, das Prosaschreiben ist eine harte Kunst wie eine Skulptur anfertigen", schilderte Mayröcker, deren zweite Liebe der Bildenden Kunst gehört, einmal in einem APA-Interview. "Es sind zwei wirklich ganz verschiedene Zugehensweisen, und ich fühle das auch im Körper ganz anders."

Frühe Hinwendung zur Literatur

Am 20. Dezember 1924 in Wien als Tochter eines Lehrers und einer Modistin geboren, wurde Mayröcker als Kind wegen ihrer zarten Gesundheit stark von der Außenwelt abgeschirmt. Bereits als 15-Jährige begann sie, kurze emotionale Prosatexte zu schreiben. In der Literaturzeitschrift "Plan" veröffentlichte sie 1946 erste Gedichte. Im selben Jahr begann sie als Englischlehrerin an Wiener Hauptschulen zu unterrichten. "Ich war eine schlechte Pädagogin. Ich wollte nie diesen Lehrberuf ausüben, aber meine Eltern haben gemeint, dass das ein für mich geeigneter Brotberuf wäre", erinnerte sich Mayröcker einmal. Ein 1950 begonnenes Germanistikstudium musste sie abbrechen, weil ihre Lehrerinnentätigkeit die wirtschaftliche Basis der Familie sicherte. Nach einigen vorübergehenden Beurlaubungen konnte sie erst 1969 aus dem Schuldienst ausscheiden und sich ganz dem Schreiben widmen.

Ernst Jandl, der "Hand- und Herzgefährte"

1951 stieß Mayröcker zu einem Kreis junger Autoren um Hans Weigel, dem u.a. Ingeborg Bachmann und Hertha Kräftner angehörten. Sie lernte Andreas Okopenko kennen und 1954 Ernst Jandl, der die nächsten Jahrzehnte ihr "Hand- und Herzgefährte" war. Sein Tod im Jahr 2000 erschütterte die Dichterin tief, ihre Trauerarbeit schlug sich in zahlreichen Büchern nieder.

Ehe Mayröcker sich experimentelle Techniken der Collage, Montage, Assoziations- und Traumarbeit aneignete, erschien 1956 "Larifari. Ein konfuses Buch" mit Prosaskizzen der vorexperimentellen Phase. 1964 erschien ihr schmaler Gedichtband "metaphorisch", 1966 schließlich brachte Rowohlt die umfangreiche Gedichtauswahl "Tod durch Musen" heraus: "Da habe ich gedacht: Vielleicht ist das wirklich mein Weg", sagte die Dichterin rückblickend. Zwischen 1967 und 1971 verfasste Mayröcker eine Reihe von Hörspielen, vier davon gemeinsam mit Jandl, darunter das 1968 mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnete "Fünf Mann Menschen".

Nach den beiden experimentellen Prosabüchern "Minimonsters Traumlexikon" (1968) und "Fantom Fan" (1971) wandte Mayröcker sich vom "experimentellen Purismus" ab, um wieder mehr Erfahrungswirklichkeit in ihre Arbeit zu integrieren. Diesen Einschnitt markiert die Erzählung "je ein umwölkter gipfel" (1973). In der Folge versuchte die Dichterin, eine "neue experimentelle Romanform" zu entwickeln. Mit suggestiver, metaphorisch geprägter Prosa von lyrischem Charakter löste sie herkömmliche Vorstellungen von erzählender Literatur, Geschichte und Identität auf und beeinflusste damit junge Autoren im gesamten deutschen Sprachraum.

Otto Brusatti und Friederike Mayröcker

Friederike Mayröcker an der Seite von Otto Brusatti bei der Ö1 Hörspielgala 2018

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Mayröckers große Prosaarbeiten - etwa "Die Abschiede" (1980), "Das Herzzerreißende der Dinge" (1985), "mein Herz mein Zimmer mein Name" (1988), "brütt oder Die seufzenden Gärten" (1998), "Und ich schüttelte einen Liebling" (2005) oder "Ich bin in der Anstalt. Fusznoten zu einem nichtgeschriebenen Werk" (2010) - sind "keine Autobiografie, dennoch authentisch", wie die Autorin es einmal charakterisiert hat. Im Prosaband "Die kommunizierenden Gefäße" heißt es über ihren literarischen Alltag: "Ich beginne den Tag indem ich versuche, jegliche kleinste Verrichtung, jeden Handgriff, zu verbalisieren, das ist 1 Schreiben hinter dem Schreiben, sage ich, es löst sich alles in Sprache auf (...)". Begleitet wurde Mayröcker in diesem Alltag in dem 2008 erschienenen Film "Das Schreiben und das Schweigen" von Carmen Tartarotti.

Arbeit fürs Hörspiel

Für ihr Hörstück "Oper!", das Otto Brusatti im Sommer 2017 im Kurhaus Semmering zur Uraufführung brachte, wurde Mayröcker für das "Hörspiel des Jahres ausgezeichnet", im selben Jahr erhielt sie auch den mit 10.000 Euro dotierten Günter-Eich-Preis, nachdem sie im Jahr zuvor mit dem ersten Österreichischen Buchpreis ausgezeichnet worden war. Erst kürzlich kaufte die Österreichische Nationalbibliothek einen großen Teil des Vorlasses der Autorin an, ein kleinerer Teil befindet sich bereits in der Wienbibliothek im Rathaus.

Service

TV-Hinweis
KulturMontag | 07 06 2021, 22.30, ORF 2 - Nachruf
Doku | 07 06 2021, 23.15, ORF 2 - Wilder, nicht milder - Friederike Mayröcker im Porträt
Weitere Programmänderungen in ORF III sind geplant.

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