Von Karl Kreiner

Sunna'93 - Kapitel 2

Meine Geschichte begann an einem Samstagnachmittag und handelte von einem beliebigen Ich, einem Gewohnheitstier, in meinem schwarzen Notizbuch nannte ich meinen Protagonisten der Einfachheit halber ich.

Ich räumte auf, notierte ich in mein Notizbuch, nachdem die Stewardess, sichtlich erschöpft aber immer noch unbezwingbar freundlich, Kaffee serviert hatte.

Ich räumte auf und füllte die erste Seite meines Notizbuchs mit der Beschreibung meiner Wohnung, einer Garconniere im Randbezirk einer österreichischen Stadt. Regen fiel auf der ersten Seite des Notizbuchs auf die Straße, ich stand umgeben von einem Heer an Umzugskartons vor vollen Regalen und Schränken und war ratlos, wie der Umzug zu organisieren wäre, der meine Freundin - ich nannte sie nach langem Zögern Elle - und mich näher bringen würde, näher in die Innenstadt, näher aneinander, die erste gemeinsame Wohnung, der Auszug aus meiner eigenen Wohnung, eine Trennung in gewisser Weise notierte ich, um die Umstände meiner Geschichte auf den Punkt zu bringen.

Auf der zweiten Seite begann ich, von Unruhe zerfressen und unfähig das Wertvolle vom Nutzlosen, das Benötigte vom nicht mehr Benötigten zu unterscheiden, wahllos den Inhalt der ersten zwei Bücherregale in die Umzugskartons zu räumen, alles räumte ich leer, wahllos griff ich nach den Büchern, ich geriet in ein Rasen, achtlos stürzten die Bücher in die Kartons, blieben dort liegen, achtlos fielen die ganzen Geschichten in die Kartons, kreuzweise und auf dem Buchrücken lagen sie hilf- und ratlos umher, ich geriet vom Rasen außer Atem, setzte mich auf den Boden und versenkte meinen Kopf zwischen den Oberschenkeln.

Alles war plötzlich sehr ernst geworden.

Alles was ich notierte, war plötzlich ernst geworden.

Der Regen fiel immer noch auf Seite drei, ich ließ ein Auto hupen, um wie ich im Notizbuch notierte, die Stille zu zerreißen, fügte spielende Kinder hinzu, die einander durch die Pfützen im gegenüberliegenden Park jagten, wahrscheinlich mit gelben, knielangen Regenmänteln.

Ich kann mir meine Geschichte aussuchen, dachte ich, während die Stewardess Whiskey servierte und ich beschloss mir selbst in dieser Situation zu Hilfe zu eilen, zauberte aus dem Hut ein Kaninchen, einen deus ex machina, jener göttlichen Fügung, jenem göttlichen Eingreifen, dem viele Helden griechischer Dramen in letzter Minute ihre Rettung verdanken. Nachdem das letzte Buch in die Kiste gefallen war, offenbarte ein Bücherregal eine staubige Audio-Kassette, wohl gut und gerne 20 Jahre alt.

20 Jahre, notierte ich in mein Notizbuch.

Ich stand auf, schüttelte meine Erschöpfung ab, baute mich trotzig vor dem Regal auf und las mit zusammengekniffenen Augen am Rücken der Kassettenhülle eine handgeschriebene Bemerkung:

Sunna'93.

Dahinter zwei rote Buntstift-Herzen.

Ich wusste, was zu tun war.