Von Karl Kreiner

Sunna'93 - Kapitel 7

Das ganze Haus war eine einzige Maschine, sollte ich später, nach dem Ende der Geschichte in mein Notizbuch schreiben.

Ich konnte die Haustür nur einen Spalt öffnen, da Kabelstränge, die von der Decke hingen, das Öffnen der Tür unmöglich machten. Ich zwängte mich durch den geöffneten Spalt in einen Vorraum an dessen Wände lange, dünne Rohre verliefen, aus denen unregelmäßig Wasserdampf schoss, die Luft roch nach Schmieröl und Schwermetallen.

Vom Vorraum gelangte ich in einen kleinen Nebenraum, in dem eine komplizierte Zahnradkonstruktion über Stahlseile mit Rokoko-Stühlen verbunden war, ich begann an einem der Zahnräder zu drehen, es fiel mir leicht, ein Zahnrad in Bewegung zu bringen und die Stühle begannen, soweit es die Stahlseile zuließen, nach vorne und nach hinten zu kippen, sie schienen einer Choreographie zu gehorchen, notierte ich in mein Notizbuch, die Stühle tanzten an den Seilen durch den Raum, brachte ich den Satz zu Ende. Während ich die Zahnräder bewegte, hörte ich Geräusche aus dem Nebenraum, so als würde das Zahnrad auch in diesem Nebenraum Bewegung bewirken und ich ging in den Nebenraum, saß drei Adler aus Plastik deren Flügel über Drähte die Pfeifen einer Orgel steuerten.

So ging ich von Raum zu Raum, von Traum zu Traum, wie ich später notieren sollte, gelangte geduckt über das Stiegenhaus, an dessen Wänden Sauerstoffflaschen montiert waren, in den oberen Stock, fand einen verschlossenen Raum, der auch nach langwierigem Rütteln des Türknaufs sein Geheimnis nicht preisgeben wollte, ging weiter in einen Raum, der wohl einmal eine Küche war. Ich öffnete Kästen, alle waren voll mit Ersatzteilen, ich fand eine Kaffeekanne, Kaffeetassen, Töpfe und Pfannen, die mit Fingernagel-großen Schrauben und Dübeln gefüllt waren. Alles in diesem Haus unterwarf sich der Maschine.

Es war schwer festzustellen, wo die Maschine anfing und wo sie aufhörte, ich konnte nicht feststellen, ob die Maschine einen Kern, ein Zentrum hatte, das ganze Haus schien Maschine zu sein, Kabel, Drähte und Rohre wucherten über Möbel und Wände, wie Efeu über Wände wuchert, alles war mit allem verbunden und dennoch fiel mir auf, dass etwas nicht stimmte, alles stand still, nichts bewegte sich.

Das ist das Problem.

Der Ingenieur stand hinter mir, wahrscheinlich war er mir auf meinem Weg durch das Haus die ganze Zeit gefolgt.

Das ist das Problem, wiederholte er, sie funktioniert nicht.

Ich hoffe Sie hatten eine angenehme Fahrt.


Der Ingenieur schien von meiner Ankunft nicht überrascht zu sein, er schob mich zur Seite und zog aus einem Arbeitsmantel einen Schraubenzieher und eine Taschenlampe, montierte eine Schalttafel am Ende des Gangs ab und leuchtete mit der Taschenlampe in die Wand hinein, warf einen konzentrierten, kritischen Blick in das Innenleben des Hauses.

Sein Kopf verschwand in der Wand.

Ich wurde zornig.

Ich wollte Klarheit.

Ich wollte Sunna'93 finden, doch was ich auch unternahm, welchen Weg ich auch einschlug, alles schien immer beim Ingenieur zu enden. Der Ingenieur streckte seinen Kopf aus der Wand.

Im oberen Stock ist ein Zimmer für Sie vorbereitet, ruhen Sie sich aus. Morgen sehen wir weiter. Es wird ein langer Tag.

Sein Kopf verschwand wieder in der Wand. Ich überlegte das Haus zu verlassen, mir ein Hotel in Isafjördur zu suchen, sah aus dem Fenster, die Stadt leuchtete vom anderen Ende des Fjords herüber, es mussten mindestens zehn Kilometer sein, dachte ich, ein weiter Marsch und so beschloss ich widerwillig im Haus des Ingenieurs zu bleiben.

Ich ging in das Zimmer, dem einzigen nahezu leeren Raum im Haus, ein Bett stand mitten im Raum, sonst gab es keine Möbel.

Ich zog mich aus und ließ mich ins Bett fallen. Ich hörte Geräusche, Metall, das an Metall schlug, eine Kreissäge, die gestartet und gestoppt wurde, ein Pochen, ein Klimpern, eine Art Sägen, Geräusche, die kamen und gingen, die laut, und später leise wurden.

Irgendwann nickte ich ein.