Trends und Highlights
Das Literaturjahr 2011
Über 100.000 Buchneuerscheinungen sind in den vergangenen zwölf Monaten auf den Markt gekommen, 33 Prozent davon sind Belletristik-Neuerscheinungen. War es ein guter Jahrgang? Was waren die großen Titel? Gibt es so etwas wie Trends? Und: Wie kann man sich zwischen den Regalen mit den 33.000 Titeln orientieren?
8. April 2017, 21:58
Kulturjournal, 29.12.2011
Daniela Strigl, Klaus Nüchtern und Petra Hartlieb diskutieren über das Bücherjahr 2011.
2011 war ein starkes Jahr der Österreicher: von Arno Geigers Buch über seinen demenzkranken Vater, die "Winterreise" von Elfriede Jelinek, Gerhard Roth, der sein "Orkus"-Projekt abgeschlossen hat, bis zu Marlene Streeruwitz, die auch für den Deutschen Buchpreis nominiert war.
"Das ist ein eminent gegenwärtiges Buch, das haltbar sein wird", so die Germanistin und Literaturkritikerin Daniela Strigl.
Wer geht in die Literaturgeschichte ein?
Was bleibt - das ist die Frage, die die nicht nur die Literaturgeschichtsschreibung interessiert. "Die Literaturgeschichte wird ja immer aus dem Rückspiegel geschrieben und aus der Distanz von zehn Jahren werden wir es vielleicht wissen. Weil man ja blöderweise die Bücher, die man eigentlich hätte lesen müssen, dann nie liest", so der "Falter"-Redakteur und Staatspreisträger für Literaturkritik 2011, Klaus Nüchtern.
Oder vielleicht hat man sie doch gelesen? Die Bücher von Juri Andruchowytsch, Mircea Cartarescu, Umberto Eco, Sabine Gruber, Maja Haderlap, Josef Haslinger, Mario Vargas Llosa, Eugen Ruge und Edmund de Waal - soweit ein kurzer Auszug aus dem Alphabet. Und, nicht zu vergessen: Peter Handke, "Der Große Fall".
Mittagsjournal, 28.12.2011
Handke lesen
"Bei Peter Handke bin ich immer so ein bisschen wie ein Leser von Pornografie unterwegs. Ich suche mir dann immer so Stellen raus, die besonders scharf sind und es gibt immer wieder Passagen, wo ich mir denke: Unglaublich, was der kann", sagt Nüchtern.
Peter Handke schreibt sein Werkgebäude fort - jenseits aller Moden und Trends. Die wurden für 2011 auch schon mehrfach ausgerufen. "Die neuen deutschen Romane erzählen von der Sehnsucht nach Herkunft und Heimat", meldete jüngst die "Süddeutsche Zeitung" und auch die Hamburger "Zeit" hat schon einen gemeinsamen Nenner gefunden: "Die Familie kehrt in die Literatur zurück".
Strigl ist ebenfalls fündig geworden: "Trend ist ein gewisses Interesse am Politischen und das Thema Geld und Wirtschaft, das nicht nur im Sachbuch, sondern durchaus auch in der Literatur - etwa Peter Roseis 'Geld' - die Gemüter bewegt."
Die Themen der Feuilletondebatten
Um politische Themen drehten sich anno 2011 auch die Feuilletondebatten. "Ich denke an Stéphane Hessel - also der berühmte 'Wutbürger' hat eher die Gemüter erhitzt und kein literarisches Buch", meint Strigl.
Die Buchhändlerin Petra Hartlieb pflichtet Strigl bei: "Das ist auch bei uns in der Buchhandlung zu beobachten, dass in einem gutbürgerlichen Bezirk die sogenannten 'Revolutionsbücher' in einer Kiste bei der Kasse stehen und jeden Tag nachbestellt werden, das ist schon etwas, das wir uns vor zwei Jahren nicht vorgestellt hätten."
An Roche scheiden sich die Geister
Mit "Empört Euch" liegt Stéphane Hessel auf der Top-Ten-Jahresbestsellerliste denn auch vor den "Schoßgebeten" von Charlotte Roche. "Der dahinterstehende Hype ist ja, dass das ein Schaß ist, den niemand braucht und aus irgendwelchen, allen unerklärlichen Gründen kauft's aber jeder", meint Nüchtern. "Aber so wird's wohl sein", fällt ihm Strigl ins Wort. "Ein Buch, das den Titel 'Schoßgebete' hat - das soll lustig sein?" Nüchtern findet den Titel "schon in Ordnung". Strigl hält es mit Roche "auf eine sehr unkomplizierte Art und Weise: Ich lese sie nicht."
Durchbruch des E-Books?
Die Frage heuer war aber nicht nur was lesen Sie, sondern wie lesen Sie? Wie halten Sie's mit dem E-Book? Auf die genauen Zahlen warten wir noch, aber in der Branche ist man sich einig: Nach jahrelangen Ankündigungen ist das E-Book anno 2011 tatsächlich angekommen.
Textfassung: Rainer Elstner